In der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert finden wir eine der ersten dokumentierten „Türkentaufen“.
Suleiman Bugalli wurde 1523 geboren und kämpfte auf der Seite des Osmanischen Reiches. 1544 wurde er in Veszprem, im heutigen Ungarn, gefangen genommen.
Suleiman gilt als der älteste uns bekannte „Beutetürke“, also als frühester dokumentierter Gefangener osmanischer Herkunft im heutigen Deutschland. Suleiman diente dem Markgrafen Johann von Brandenburg-Küstrin bis zu dessen Tod 1571. Danach wurde er freigelassen, entschied sich aber für den Verbleib im Dienst der Familie von Brandenburg-Küstrin.
Moment mal! Handelt es sich bei den „Beutetürken“ wirklich um Türken?
Seit dem Beginn der Kriege gegen das Osmanische Reich im 15. Jahrhundert wurden alle Kriegsgefangenen, die auf Seiten der Osmanen standen, in Europa als „Beutetürken“ bezeichnet. Neben den Angehörigen türkischer Völker konnten dies Menschen aus dem Balkan, Araber, Tataren oder Nordafrikaner sein. Das Osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat und tolerierte andere Religionen, wie Judentum und Christentum. Die damals verwendete Fremdbezeichnung “Beutetürken” hatte mit der Volkszugehörigkeit zu einem türkischen Volk oder der Religionszugehörigkeit wenig zu tun.
Über das Schicksal der “Beutetürken” weiß man relativ wenig, die Forschung beschäftigt sich erst seit den 1960er Jahren intensiver mit ihnen. Als Hauptquelle über einzelne Schicksale bediente man sich zunächst der Kirchenbücher, die Übertritte zum Christentum dokumentierten. Wie viele der Kriegsgefangenen tatsächlich zum Christentum konvertiert sind, wie viele in die Heimat zurückkehrten und wie viele in deutschen Ländern blieben ist (noch) nicht bekannt.
Der Bezug auf die kirchlichen Quellen erweckte den Eindruck, man hätte zum Christentum konvertieren müssen, um in deutschen Ländern leben zu können. Suleiman Bugalli blieb jedoch fast 30 Jahre Muslim. Um die andere Religion eines “Bediensteten” scheint sich niemand gekümmert zu haben. Eine „Zwangskonvertierung“, von der bei „Beutetürken“ häufig zu lesen ist, scheint es nicht gegeben zu haben. Erst als freier Mann unterzieht er sich einer Art „Einbürgerungstest“ und entscheidet sich für die „Assimilation“ in seine protestantische Umgebung. Viel mehr als um seinen Glauben scheint es ihm um die Akzeptanz als gleichberechtigter Bürger gegangen zu sein.
Bugalli wird vom Magdeburgischen Hofprediger Jacob Eysenberg unterrichtet und zwei Jahre später getauft. Dieser schreibt eine 140-seitige Dokumentation dieser „Türkentaufe“, der wir das Wissen über ihn verdanken.
Dieses Buch erscheint 1590 unter dem Titel: „Kurtze einfeltige fragen vnd antwort/ die einem gebornen Türcken ehe er getaufft worden/ mit dem kleinen Catechismo/ deß Ehrwirdigen vnd hochgelarten Herrn D. Martini Luthers seligen/ Zu lernen sind vorgeschrieben worden“.
Hier beschreibt Eysenberg die Voraussetzungen für eine Taufe. Bugalli wurde ausführlich im protestantischen Katechismus unterrichtet und vor seiner Taufe öffentlich im Gottesdienst geprüft. Der Unterricht dürfte mehrere Monate gedauert haben, bis der Pfarrer die Taufe vollzogen hat.
Neben der Verbesserung der Deutschkenntnisse, den Grundlagen, wie dem „Vater Unser“ oder den „Zehn Geboten“ waren es auch interpretatorische Fragen, mit denen sich Bugalli auseinandersetzen musste.
Suleiman wird schließlich 1573 in Halle an der Saale auf den Namen Paul Willig getauft und befindet sich immer noch am Hof, als das Buch 1590 erscheint. Er schreibt im Nachwort dieses Buches einige Zeilen, in denen er sich sehr dankbar für seine Gefangenschaft und seine Bekehrung zum Christentum äußert.
Die Taufe von Muslimen scheint Ende des 16. Jahrhunderts so neu und außergewöhnlich zu sein, dass Jacob Eysenberg dies ausführlich dokumentiert hat und sich in seiner Schrift auch mit Grundlegenden theologischen Fragen auseinandersetzt. Wieviel muss der Täufling wissen, bzw. wie intensiv muss sich der Täufling tatsächlich mit der Religion auseinandergesetzt haben? Muss der Täufling einen neuen Namen erhalten? Wird seine Taufe genauso durchgeführt, wie die Erwachsenentaufe bei Deutschen? Braucht er Paten, die ihn unterstützen?
Eysenberg betont die Funktion der Taufe als rituelle Wiedergeburt und als Aufnahme in die christliche Gemeinschaft. In einer Zeit, in der keine wirkliche Religionsfreiheit herrschte (Bugalli hätte in Brandenburg beispielsweise nicht Katholik werden können), ist der Ansatz des Pfarrers durchaus seiner Zeit voraus.
Einen ähnlichen Fall gibt es in Schermbeck, im Herzogtum Lüneburg. Dort berichtet Pfarrer Franz Meinecke am 27.09.1601 von der Taufe eines türkischen „Knaben“ und eines türkischen „Mägdelein“. Die Taufe der beiden damals 16-jährigen Jugendlichen wird ebenfalls schriftlich dokumentiert.
Sie waren von Herzog Franz von Braunschweig und Lüneburg bei der Eroberung der Festung Hatwan am 3. September 1592 gefangen genommen worden. Dieser seltene Sieg über die Osmanen führte zu einem schrecklichen Massaker an der muslimischen Bevölkerung. Nahezu alle Männer, Frauen und Kinder der eroberten Stadt wurden getötet.
Wir wissen von drei Überlebenden. Ein zweijähriger Knabe wurde aufgrund seiner noblen Kleidung vom Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler gerettet und nach Augsburg gebracht. Danach verliert sich seine Spur.
Von den bei Gefangennahme 7-jährigen Ali und Isitti wissen wir, dass sie nach Schermbeck kamen und christliche Schulen besuchten. Sie erhielten Unterricht im Lesen und Schreiben und dem christlichen Katechismus.
Sie erhielten bei der Taufe von ihren Paten die Namen Christianus und Christina.
Die beiden frühen Berichte von „Türkentaufen“ lieferten theologische Grundlagen für die späteren Türkentaufen.
Fast 100 Jahre später (1689-1699) wendet sich das Blatt in den Türkenkriegen und tausende Kriegsgefangene gelangen in deutsche Länder. Bisher hat man aus dieser Zeit über 500 “Türkentaufen” in Kirchenbüchern gefunden.
Zum Weiterlesen:
Jacob Eysenberg, Kurtze einfeltige fragen vnd antwort / die einem gebornen Türcken ehe er getaufft worden / mit dem kleinen Catechismo / deß Ehrwirdigen vnd hochgelarten Herrn D. Martini Luthers seligen / Zu lernen sind vorgeschrieben worden.
Franz Meineke, Bericht/ Wie ein geborner Türckischer Knabe/ und ein gebornes Türckisches Mägdlein/ ihres alters im sechzehenden Jar/ zum Schermbeck im Fürstenthumb Lüneburgk/ in öffentlicher versamlung/ ires Glaubens bekäntnis gethan/ und darauff getaufft worden/
Im Internet unter: http://diglib.hab.de/drucke/269-quod-11s/start.htm
Türkentaufen. Zur theologischen Problematik und geistlichen Deutung der Konversion von Muslimen im Alten Reich, in: Markus Friedrich/Alexander Schunka: Deutsche Protestanten und der Orient, 2012, S. 47-74
Bildnachweis:
Titelbild von Jacob Eysenberg, “Kurtze einfeltige fragen”
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Germany, Public domain
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