Skip to content

1691: Muslime in Deutscher Erde

Ein Dokument der Geschichte sind Grabstätten. Und die Art wie wir mit dieser Art von Erinnerungsorten umgehen, sagt nicht nur etwas über das muslimische Verhältnis zum Tod und  den innermuslimischen Umgang mit Muslimen in der Diaspora, sondern auch sehr viel über das Verhältnis zur Deutschen Gesellschaft in der Vergangenheit und in der Gegenwart.  

Obwohl Muslime schon seit dem Jahr 777 im Gebiet des heutigen Deutschlands präsent sind, finden wir erst seit 1691 Zeugnisse von muslimischen Bestattungen.  

Dies mag nicht ungewöhnlich sein, da sich ja nur die reichsten und mächtigsten ihrer Zeit Grabmäler bauen konnten, die eine solch lange Zeit überdauern. Wir finden aber auch nahezu keine schriftlichen Berichte von Bestattungen. 

Dies mag daran liegen, dass die Hauptquelle für Berichte über Bestattungen die Kirchenbücher sind und dort fast nur über diejenigen gebürtigen Musliminnen und Muslime berichtet wurde, die christlich (also auch als Christen) beerdigt wurden, wie im Fall des Sadik Selim Sultan, beerdigt als Johannes Soldan 1328. 

Es mag daran liegen, dass die gesellschaftliche Position der Muslime, die in deutschen Ländern gestorben sind, so schwach war, dass man keine “Erinnerungsorte” schaffen konnte oder wollte, um ihrer zu gedenken. Hinzu kommt, dass keine muslimischen Gemeinschaften vorhanden waren, die diese Erinnerungsorte hätten pflegen konnten. In diesem Fall wurden sie außerhalb der Friedhöfe verscharrt. 

Im schlimmsten Fall wurden Heiden oder Türken gar nicht als gleichwertige Menschen angesehen und somit auch nicht würdevoll beerdigt. Während der Türkenkriege findet man Berichte, dass Köpfe gefallener Kämpfer des Osmanischen Heeres als Trophäen auf Märkten gehandelt wurden. Ein anderer Teil der Gefallenen wurde “verarbeitet” zu “Medizin”. Asank (Menschenfett) und Mumia (luftgetrocknetes Menschenfleisch) schrieb man eine Lebensenergie konservierende Wirkung zu. 

Angesicht dieser Grausamkeiten ist es umso interessanter, wenn sich der Umgang mit den Toten ändert, man dafür sorgt, dass die Verstorbenen nach ihrer Religion und Tradition beerdigt werden und die Gräber durch Grabsteine oder Denkmäler kennzeichnet. 

Die ältesten heute noch erhaltenen muslimischen Gräber in Deutschland sind die Gräber von Hammet und Hassan in Hannover. Die Beiden waren 2 von 12 Kindern und Jugendlichen, die 1683 an den Hof von Hannover kamen und dort als Lakaien der Kurfürstin Sofie dienten.  

Aus der deutschen Grabinschrift wissen wir, dass sie 8 Jahre in Diensten standen und 1691 “von Glaubensgenossen” beerdigt wurden. Aus der osmanischen Inschrift konnte man noch entziffern, dass es sich bei Hammet um den Sipahi (Reitersoldat) Mehmed handelte, der in Temeschwar (heutiges Rumänien) in den Dienst gestellt wurde. 

Ein weiteres Beispiel ist das Grab von Leutnant Mustafa Sulkiewicz einem polnisch-litauischen Tataren, der im Siebenjährigen Krieg in den Diensten der Preußen stand und am 1.7.1762 in der Schlacht bei Dippoldiswalde gefallen ist. 

Er war Teil des 9. Husarenregiment „Bosniaken“, mit insgesamt rund 1.000 Mann. Diese muslimische Einheit hatte einen eigener Heeresimam: Leutnant Osman, ”Prediger der preußischen Mohammedaner“. Er wurde daher mit großer Sicherheit muslimisch beerdigt. Hierfür spricht auch, dass er “auf freiem Feld” bei Dippoldiswalde (20 km südlich Dresden) und nicht auf einem Friedhof beerdigt wurde 

Heute noch findet man sein Grabmal mit einem Obelisken, an dessen Seiten mehrfach Halbmond, Stern und Pfeil abgebildet sind und seit 1890 zusätzlich auf der Spitze ein liegender Halbmond.  

Die erste ausführliche Schilderung einer muslimischen Bestattung finden wir, als ein prominenter Muslim in Berlin stirbt. Es handelt sich um Ali Aziz Efendi. 

Ali Aziz Efendi war der Dritte Gesandte des Osmanischen Reiches. Während die ersten beiden Gesandten Resmi Ahmed Efendi (1763) und Ahmed Said Azmi Efendi (1791) sich nur kurz in Preußen aufhielten, war er der erste “ständige Botschafter” in Berlin.  

Dieser kosmopolitische, gebildete Mann gilt unter anderem als Begründer der modernen türkischen Literatur. Sein bekanntestes Werk die “Muhayyelat” (Phantasien) verbindet osmanische Poesie mit europäischen Einflüssen. 

Er stand dem Sufismus nahe und galt als vorbildlicher Muslim. Und nicht zuletzt war er durch seine offene, warmherzige Art ein begnadeter Diplomat, der die Allianz zwischen Preußen und dem Osmanischen Reich vertiefte, und vor allem in der Bevölkerung die Grundlagen für ein positives Verhältnis zwischen Deutschen und Türken legte.  

Ali Aziz Efendi wirkte von seiner Ankunft am 4. Juni 1797, bis zu seinem Tod am 29. Oktober 1798 in Berlin.  

Residiert hat er im Ephraim-Palais. Der repräsentative Rokkokobau wurde vom jüdischen Hofjuwelier Veitel Heine Ephraim erbaut, der sich seine hohe Stellung nicht zuletzt als Finanzier der Kriege Friedrich des Großen erworben hat. 

Als Ali Aziz stirbt, erwarb König Friedrich Wilhelm III.  aus eigener Kasse ein Grundstück an der heutigen Urbanstrasse und stellt es der diplomatischen Vertretung der Osmanen zu Verfügung.  

In den “Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen”, vom 30.10.1798 liest man folgenden Bericht: 

Die Bestattung von Ali Aziz erfolgte schon am folgenden Tag, denn das “Gesetz des Propheten verordnet nehmlich, mit der Beerdigung möglichst zu eilen, dergestalt, daß ein Türke, der am frühen Morgen stirbt, noch vor Sonnenuntergang, oder, wenn er am Nachmittag stirbt, höchstens am folgenden Morgen zur Erde bestattet werden muß”.  

Zu diesem Zwecke “ward der entseelte Leichnam in einem hölzernen Sarge, der jedoch in reichen mit Gold durchwirkten Stoff gehüllt war, auf einem mit sechs Pferden bespannten, gewöhnlichen hölzernen Wagen hingebracht, der mit einer grün tuchenen Decke behangen war. Um das allzu große Zudrängen zu verhüten, ritten sechs Mann Husaren vorauf. Auf dem Wagen standen zur Rechten und zur Linken des Sarges zwei von den Bedienten des Gesandten mit metallnen Räucherbecken, auf deren Glut bis zur Grabstätte hin unablässig mit geraspelten Sandelholz geräuchert ward. Unmittelbar nach dem Leichenwagen gingen die Bedienten des Gesandten zu Fuß. Der Sohn des Verstorbenen hingegen, nebst dem Dollmetscher und den übrigen Gesellschaftern, folgte in zwei Wagen”. 

“In Ermangelung eines Imans [sic!] oder türkischen Priesters (der bald nach der Ankunft des Botschafters nach seinem Vaterlande zurückgegangen war), las, bei Einsenkung des Sarges, der Sohn des Verstorbenen, unter Assistenz eines Gehülfen, aus dem Koran die üblichen Gebete her. Der Leichnam ward, achdem der Goldstoff vom Sarge weggenommen war, in gewöhnlicher horizontaler Lage der Erde übergeben, mit dem Gesicht nach Morgen, als der Weltgegend hin gerichtet, wo Mecca, der Begräbnißort [sic!] des Propheten liegt”. 

Auf dem Rückweg, “warf der Sohn des Verstorbenen Geld unter das nachströhmende Volk aus, weil das Gesetz des Propheten bei diesem Anlaß Allmosen gebiete. 

Seit Ende Oktober 1798 gibt es also in Deutschland einen muslimischen Friedhof. Da er auch von Muslimen verwaltet wird, gelten dort auch bei späteren Beerdigungen die muslimischen Regeln, wie beispielsweise die Beerdigung ohne Sarg.  

Der Friedhof hat eine wechselvolle Geschichte. Nachdem es im Jahr 1800 zu Grabschändungen (Diebe vermuteten wertvolle Grabbeigaben) kam, verfiel er ungepflegt in den Wirren der napoleonischen Kriege. 1836 restauriert, wurde er schließlich im Dezember 1866 an den heutigen Standort am Columbiadamm verlegt. An der feierlichen Umbettung der Toten sollen Tausende Berliner teilgenommen haben. 

Von 1999 bis 2004 entstand neben dem Friedhof die Şehitlik-Moschee eine der größten Moscheen in Berlin. 

 

Zum Weiterlesen: 

Heller, Hartmut. “Muslime in deutscher Erde: Frühe Grabstätten des 14. bis 18. Jahrhunderts” aus:  In fremder Erde. Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland,, herausgegeben von Gerhard Höpp und Gerdien Jonker, Berlin, 1996, S. 45-62.  

Gerhard Höpp: “Tod und Geschichte oder Wie in Berlin prominente Muslime bestattet wurden” aus:  In fremder Erde. Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland, herausgegeben von Gerhard Höpp und Gerdien Jonker, Berlin, 1996, S. 19-44.

Achmed Schmiede: “Vor 190 Jahren …Tod des türkischen Botschafters Ali Aziz Efendi” aus Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Oktober 1988, S. 102-107

Bildnachweis: 

Grabmal des Ali Aziz Efendi vor der Sehitlik Moschee in Berlin. Photo: Taner Yüksel