Der Reichstag zu Worms, der vom 27. Januar bis 26. Mai 1521 andauerte, gilt heute meist als eines der Hauptereignisse der Reformation. Der vom Papst bereits exkommunizierte Martin Luther war geladen worden, um seine 95 Thesen zu widerrufen und so der “Reichsacht” zu entgehen. Eine geächtete Person konnte ohne Konsequenzen Gewalt ausgesetzt oder gar getötet werden.
Luther stand eigentlich nicht auf der Tagesordnung und tritt auch nicht vor dem eigentlichen Reichstag auf, sondern wird vom Kaiser im Bischofssitz empfangen. Nachdem Luther sich weigert zu widerrufen, wird er vom König geächtet, von seinen Unterstützern in Sicherheit gebracht, und kämpft weiterhin für die Anerkennung seiner Lehre. Insgesamt ist er nur 9 Tage in Worms, während der Reichstag 4 Monate dauerte.
Der eigentliche Reichstag hat jedoch andere Schwerpunkte, die noch lange Auswirkungen auf das “Heilige Römische Reich Deutscher Nation” haben sollten.
Es war der erste Reichstag von Karl V. (1500 – 1558). Er war 1516 zum spanischen König und 1520 zum König des Heiligen deutschen Reiches gekrönt worden. Sein Ziel war es, seine Macht zu festigen. Er wollte in Rom zum Kaiser gekrönt werden und auf dem Weg nach Rom verlorene Gebiete zurückgewinnen, vor allem das von den Franzosen eroberte Herzogtum Mailand.
Er warb daher um die Aufstellung eines Heeres, das seinen “Romzug” begleiten sollte. Während er selbst 10.000 Schweizer und 6.000 Spanier stellen wollte, bat er die deutschen Fürsten um 4.000 Reiter und 20.000 Fußsoldaten. Für den Unterhalt dieser Truppen sollte ein Betrag von 120.000 Gulden pro Monat erhoben werden.
Karl gelingt ein wichtiger Verhandlungserfolg. Es wurde ein fester Verteilungsschlüssel, die “Reichsmatrikel”, festgelegt, die die zukünftige Finanzierung eines zentralen Heeres regelte. Dieser “Matrikel” gilt als Grundlage eines “Steuersystems” bis 1806. Verhandelt wurde später nicht mehr der Verteilungsschlüssel, sondern nur die Anzahl der Monate, für die dieser Betrag erhoben wurde.
Der nächste wichtige Schritt war, dass die eingeführte Steuer von jedem einzelnen Bürger, in Form einer Einkommens- oder Vermögenssteuer erhoben wurde und direkt an den Kaiser ging.
Ein weiteres wichtiges Ereignis während des Reichtages war das Erscheinen einer ungarischen Delegation. Der neue Sultan des Osmanischen Reiches Süleyman I. “der Prächtige”, der seit 1520 regierte, hatte begonnen den Balkan zu erobern und man befürchtete das Vordringen der Osmanen bis nach Ungarn.
Kaiser und Reichstag reagieren zunächst abwartend, man empfiehlt den Ungarn zunächst mit den Osmanen einen Waffenstillstand für ein Jahr zu schließen und möchte sich erst nach dem “Romzug” Karls um die Unterstützung der Ungarn kümmern.
Im gleichen Jahr erobern die Osmanen die Festung Belgrad, die bisher als uneinnehmbares Bollwerk galt. Kurz danach wird auch das Herzogtum Mailand vom Kaiser erobert, so dass die wichtigste Grundlage für die “Romzughilfe” entfällt.
Es wird daher schnell gefordert, die “Romzughilfe” in eine “Türkenhilfe” umzuwandeln. Versuche der Aufstellung bzw. Finanzierung einer Streitmacht gegen die Osmanen gab es schon seit 1481. Durch den in Worms eingeführten “Reichsmatrikel” war nun die Möglichkeit gegeben, eine permanente Streitmacht (Simplum) unter dem Kommando des Kaisers zu etablieren.
Es folgt eine lange Phase der Verhandlungen über den Vollzug dieser “Türkenhilfe”. Die Deutschen Fürsten sehen die Priorität bei der Finanzierung ihrer eigenen Heere und nicht in der Türkenabwehr. Regionale Konflikte und Kriege mit anderen Großmächten (vor allem Frankreich und England) stehen im Vordergrund. So dauert es bis zur Reichsheeresverfassung von 1681 bis die Frage endgültig und dauerhaft geklärt wurde.
Nicht zu unterschätzen ist allerdings die Bedeutung der Einführung der “Reichstürkenhilfe” Anfang des 16. Jahrhunderts auf die Entwicklung eines Feindbildes.
Um die Akzeptanz der neuen Steuer zu fördern, wird sie durch eine Propaganda begleitet, die die Gefahr durch die “Türken” verdeutlichen soll. Noch vor Erscheinen der “Lutherbibel” wird der neu erfundene Buchdruck genutzt, um Flugblätter zu drucken und massenhaft zu verbreiten, die Türken als besonders abscheulich darstellen.
Ein Flugblatt zeigt beispielsweise den Propheten Mohammed, wie er mit seinem Pferd das Grab von Jesus zertrampelt und sein Pferd urinieren lässt. Andere Flugblätter zeigen Türken, wie sie Säuglingen die Bäuche aufschlitzen und sie an Pfählen aufspießen.
Diese Propaganda und die begleitende Reichstürkenhilfe tragen die Bedrohung durch die Türken, die Vorurteile und den Hass in die entferntesten Teile der deutschen Länder und legen Grundlagen für Ressentiments gegen “Türken”.
Die “Reichstürkenhilfe” dürfte einer der Tiefpunkte der Einstellungen Deutscher über den Islam sein. Dies ändert sich fundamental erst nach Ende der “Türkenkriege” 1699.
Zum Weiterlesen:
Wolfgang Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V. in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, MGM 1/1972
Stephen A. Fischer-Galati, Ottoman Imperialism and German Protestantism 1521—1555, 1955
Bildnachweis:
Auszug aus dem Reichsmatrikel
public domain by wiki commons
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zehn_Krayse_-_Seite1.jpg