Zwischen dem ersten Kontakt mit Muslimen 777 und der ersten urkundlichen Erwähnung eines in Deutschland lebenden Muslims 1304 gibt es bisher wenig offizielle Belege. Man ist auf Spuren in Sagen und Ortsbezeichnungen angewiesen, die die Existenz dieser Muslime zumindest andeuten.
Eine der bekanntesten Thüringer Sagen, die später auch von den Gebrüdern Grimm in ihre Märchensammlung aufgenommen wurde, ist die Geschichte der Sultanstochter Melechsala.
Melechsala soll eine Tochter des Sultans Al-Kamil während des Kreuzzuges von Friedrich dem II. von Staufen (1228/1229) gewesen sein. Bei den Kontakten zwischen den Kontrahenten lernt sich im Gefolge des Kaisers den thüringischen Grafen Ernst von Gleichen kennen und verliebt sich in ihn.
Obwohl der Graf schon verheiratet ist, heiratet sie ihn und flieht mit ihm in seine Heimat. Auf dem Weg nach Hause gehen sie jedoch zuerst zum Papst in Rom, der Melechsala auf den Namen Angelika tauft und dem Grafen die Erlaubnis gibt, mit zwei Frauen verheiratet zu sein.
Bei seiner Rückkehr preist der Graf seine zweite Frau, ohne die er nicht gerettet worden wäre und ohne die seine Frau und seine Kinder ohne Mann/Vater wären.
Die erste Begegnung von Ottilie von Gleichen und Melechsala alias Angelika verläuft daher sehr positiv. Die beiden Frauen umarmen sich herzlich und leben fortan als gute Freundinnen.
An die erste Begegnung der beiden Frauen am Fuße der Burg Gleichen erinnert bis heute der Name Freudenthal. Die Begegnung wurde auch auf verschiedenen Bildern festgehalten. Das bekannteste Gemälde dieser Begegnung stammt von Moritz von Schwind (1804 – 1871) aus dem Jahr 1864.
Der “zweibeweibte Graf” hat die Phantasie vieler Dichter und Maler beflügelt. Das Motiv findet sich in Balladen, Gedichten, Romanen, aber auch in Opern und seit 2006 sogar in einem Musical wieder.
Die meisten “Ausschmückungen” der Sage sind allerdings rein erfunden. Weder gab es eine Sultanstochter Melechsala, noch den Grafen Ernst in dieser Zeit. Auch eine Gefangenschaft des Ernst während dem 5. Kreuzzug ist sehr unwahrscheinlich, da es bei diesem Kreuzzug Friedrich II. gelang, kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden und den Zugang zu Jerusalem für Pilger auf dem Verhandlungswege zu erreichen.
Die im Dom zu Erfurt befindliche Grabplatte eines Grafen mit seinen zwei Frauen (eine zur rechten und eine zur linken) ist wohl auch nicht der Beweis der Sage. Sigismund von Gleichen (gest. 1492) hatte beispielsweise ebenfalls 2 Frauen, allerdings durch Wiederverheiratung nach dem Tod seiner ersten Frau. Es kamen aber auch noch andere Grafen für die Grabplatte in Frage.
Die Sage von Melechsala wird 1539 bekannt, als Phillip von Hessen eine zweite Frau ehelichte. Da die Trauung von Phillip Melanchthon vorgenommen wurde, war die potentielle Bigamie ein Skandal in der jungen protestantischen Gemeinde. Phillip von Hessen wendet sich daher an Luther und berichtet von dem “Präzedenzfall” der Melechsala und dem “zweibeweibten” Grafen, die ja selbst vom Papst eine Erlaubnis erhalten hatten. Luther erteilt zwar keine offizielle Erlaubnis, unternimmt aber auch nichts gegen diese Zweitehe und schweigt.
Nachdem ein Großteil der Sage wohl erfunden und übertrieben ist, könnte doch ein gewisses Teil der Sage auf wahren Ereignissen beruhen. Seit der Eroberung Jerusalems aus dem ersten Kreuzzug 1099 und der Gründung der “Kreuzfahrerstaaten” hat es “gemischte” Ehen zwischen “Franken” und “Orientalen” gegeben. Nicht wenige dieser Frauen mögen auch ihren Mann in seine Heimat begleitet haben.
Es gibt einen vergleichbaren Fall aus der Zeit der Türkenkriege. Hier handelt es sich um den Thüringer Junker Hans von Brandenstein. 1525 geriet er als Page König Franz I. in der Schlacht von Pavia in türkische Gefangenschaft. Nach drei Jahren Inhaftierungt soll ihn der türkische Heerführer Ibrahim in seine Dienste genommen haben.
Auch hier erzählt die Sage, daß ihm eine vornehme Türkin Zuleika (oder Fatima) zur Freiheit verhalf.
Auf einem Schiff entkam er mit ihr und kehrte 1545 in die Heimat zurück. Hier führte er dann mit dem Einverständnis seiner Gemahlin Helene von Stein und mit päpstlicher Bewilligung eine Doppelehe. Sein neu erbauter Stammsitz erhält den “Spitznamen” “Der Türkenhof”. Bis heute existiert ein Gebäube des Anwesens, indem sich heute das Rathaus der Gemeinde befindet. Zuleika soll jedoch bald nach ihrer Ankunft gestorben sein.
Ein Beweis für diese zweite Geschichte ist die heute noch lesbare Inschrift am “Türkenhof”:
ICH! HNS V BRAN HABE DIS
HAVS GEBAVET MIT GOTES H
UND BIN XVI IAR INDER TYRKEY GEW
VND ZV VNDER NEAPO III IAR IM TORGE
(Ich Hans von Brandenstein habe dieses Haus gebaut mit Gottes Hilfe und bin 16 Jahre in der Türkei gewesen und (habe) zu Unter-Neapolis 3 Jahre im Turm gesessen).
Mit Neapolis wurde damals die Neustadt von Istanbul bezeichnet. Heute befindet sich dort der Stadtteil Galata mit seinem berühmten Turm.