Der kleine Joachim wächst im damals deutschen Königsberg Ende der 30er Jahre auf. 1938 ist er gerade einmal vier Jahre alt. Er erinnert sich heute noch, mit 89 Jahren, an seine Großmutter, die ihm jeden Abend eine Gutenachtgeschichte vorlas. Ihre Bedingung: Der kleine Junge solle jeden Tag einen Buchstaben lesen und schreiben lernen.
Und er erinnert sich an seine Tante, die täglich nach ihrer Arbeit vorbeischaute, um mit ihm und seinen Geschwistern zu spielen.
Seine Tante hatte wenige Häuser weiter ein Schokoladengeschäft und so brachte sie auch immer süße Leckereien aus ihrem Laden mit. Am Eingang des Geschäftes prangte der „Sarotti Mohr”, ein Schwarzer Junge in arabischer Kleidung, der von 1918 bis 2004 eine der populärsten Werbefiguren im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik war.
Moment Mal!
Der „Sarotti-M.” wurde 2004 aus der Werbung verbannt. Er stand anfangs, in den 1920er Jahren, für Kolonialwaren und exotischen Flair und war noch in der Fernsehwerbung ab den 1960ern ein beliebter Sympathieträger.
Die Kleidung der Werbefigur, die an einen Diener an einem orientalischen Hof erinnern soll, prägt das Bild des Menschen afrikanischer Abstammung, der Europäern exotische Köstlichkeiten serviert. Diese Schokoladenwerbung steht daher symbolhaft auch für dunkle Kapitel der deutschen Geschichte, für Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus. Es erstaunt, dass diese Figur erst 2004 aus der Werbung verbannt wurde.
Dieser „süße Erstkontakt“ mit dem Orient führte vielleicht dazu, dass Joachim sich schon als Kind lieber als Beduine verkleidete, als amerikanische Western nachzuspielen.
Da er schon vor seiner Schulzeit lesen gelernt hatte, beginnt er auch früh alles zu lesen, was mit dem Orient zusammenhängt.
Aufgrund des Afrikafeldzuges der Deutschen Wehrmacht unter General Erwin Rommel (1941-1943), fand er viele Berichte aus Libyen und dem Leben der „stolzen und freien“ Beduinenstämme.
Sein Alltag wird immer mehr vom 1939 beginnenden Krieg und den Grausamkeiten bestimmt, die er erleben muss. Umso wichtiger wird für ihn das Gegenbild: Der süße Geschmack der Schokolade und die Geschichten aus einer anderen Welt, die fernab in der Sahara spielten.
Nach der Flucht aus Ostpreußen findet Joachim seine neue Heimat 1947 in Hamburg. Als er 13 wird, fordert sein Vater ihn auf, sich nun konfirmieren zu lassen und protestantischer Christ zu werden. Joachim lehnt sich auf und weigert sich. Für ihn war die evangelische Kirche zu eng mit den Nationalsozialisten verknüpft, zu wenig hatte man sich im Krieg der eigenen Lehre der Nächstenliebe verpflichtet gefühlt, ja sogar (von wenigen Ausnahmen abgesehen) Krieg, Diskriminierung Andersdenkender und Antisemitismus gutgeheißen, der zu millionenfachem, systematischem Mord geführt hatte. Er sucht und findet seine Alternative im Islam.
Er begibt sich auf die Suche nach Muslim:innen und findet Zuflucht bei einer muslimischen Familie. Mit 14 Jahren zieht er zu Hause aus und beginnt eine kaufmännische Lehre.
Er konvertiert zum Islam und bekommt einen neuen Namen. So wird aus Joachim Erich August Dultz nun Bashir Ahmad Dultz.
Im Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” liest er 1949 schließlich von deutschen Muslimen in Hamburg und findet schnell Kontakt. Er trifft auf eine Gruppe um Wilhelm Muhammad Ali Nowakowski, einen älteren Herrn und Kriegsinvaliden, der im ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte. Nowakowski hatte sich bereits in den 1920er Jahren zum Islam bekannt und sich intensiv mit der arabischen Sprache und dem Koran beschäftigt. Die Zwei-Zimmer-Wohnung von Nowakowski und seiner Frau war ein Treffpunkt für die kleine Gemeinschaft.
Außer den älteren Männern und Frauen gab es auch einige junge Männer, mit denen sich Bashir zusammentat. Gemeinsam mit Günther Amin Abdurrahim Neuhaus gründet er eine Gruppe muslimischer Pfadfinder und wird schließlich Gründungsmitglied der ältesten noch bestehenden muslimischen Organisation der Bundesrepublik: der Deutschen Muslim Liga e.V.
Mit 18 ergreift er die erste Gelegenheit und wandert in das Land aus, das er aus seiner Kindheitsliteratur kennt: nach Libyen. Er verbringt dort mehr als 30 Jahre, bleibt aber aktiv in der Deutschen Muslim Liga. Schon in seiner Zeit in Libyen widmet er sich dem Interreligiösen Dialog.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland gründet er den Zweigverein Deutsche Muslim Liga Bonn e.V. und wird zu einem der führenden Köpfe des Jüdisch-Christlich-Muslimischen Trialogs der Religionen.
Zum Weiterlesen:
Quelle war ein Interview mit Bashir Dultz im April 2023
Zum Sarotti-M.:
Rita Gudermann und, Bernhard Wulff, Der Sarotti-Mohr. Die bewegte Geschichte einer Werbefigur, Berlin 2004
Bildnachweis:
Titelbild: Bashir Dultz mit Ehefrau Chadija Foto: DML Bonn
Unteres Bild: Bashir Dultz bei seiner Ernennung zum Sheikh in den 60er Jahren in Libyen Foto: DML Bonn