Kaum ein Gebäude in Deutschland symbolisiert den neo-orientalischen Baustil in der wilhelminischen Zeit so monumental wie Yenidze. Das Gebäude an der Elbe ist eines der markantesten Bauwerke in Dresden und wird von manchem Besucher für eine Moschee gehalten.
Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das 62 Meter hohe Gebäude mit seinen fünf Geschossen, jedoch als Fabrikgebäude. Die 19 Meter hohe Kuppel und die als Minarette verkleideten Schornsteine dienen lediglich als Dekoration. Ein Hinweis auf die nicht religiöse Funktion des Gebäudes liefert uns auch die Spitze der Kuppel. Hier thront kein Halbmond, sondern einer Krone – Symbol für einen königlichen Hoflieferanten.
Hier geht es also um die „Orientalische Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze” von Hugo Zietz.
Yenidze (Türkisch: Yenice) ist der alte osmanische Name der griechischen Stadt Giannitsa etwa 60 km nordwestlich von Thessaloniki. Der in dieser Region angebaute Tabak galt als besonders mild und aromatisch.
Dresden hatte sich bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Zentrum der Tabakindustrie entwickelt. Für Dresden sprach die günstige Eisenbahnverbindung bis zum Mittelmeer und die für die Lagerung von Tabak günstige Luftfeuchtigkeit im Dresdener Elbtal.
Die älteste deutsche Zigarettenfabrik „Comagnie Laferme” wurde 1862 von dem vor russischen Pogromen geflohenen Baron Joseph von Huppmann gegründet. Einer der erfolgreichsten Industriellen dieser Zeit war der in Istanbul geborene griechisch-orthodoxe Grieche Georgios Antoniou Iasmatzis. Im Fabrikgebäude der Jasmatzi-Fabrik werden bis heute Zigaretten produziert. Die Geschichte der Tabakindustrie ist also auch verbunden mit der Migration von Fachkräften. Vor allem die „Tabak-Meister” die für den durch die Kombination verschiedener Tabaksorten zusammengestellten „Geschmack” verantwortlich waren, kamen aus dem Osmanischen Reich oder Griechenland.
Zu Spitzenzeiten gab es in Dresden über 100 Tabakmanufakturen und um die Jahrhundertwende kamen über die Hälfte der in Deutschland konsumierten Zigaretten aus Dresden. Die Tabakindustrie zog andere Industriezweige nach, wie den Maschinenbau, die Papierproduktion und die Werbeindustrie.
Die Werbeindustrie entdeckte schnell die Vorteile des im wesentlichen positiven Image des Orients für die Vermarktung des Tabakgenusses. Der Orient stand für Luxus, Genuss und Exotik. 80% der Tabakprodukte trugen fremdländische Namen. Man rauchte „Der Kalif von Bagdad”, „Salem Aleikum” oder „Salem No. 6”. In den Werbeannoncen dieser Zeit servierten orientalisch gekleidete Diener den „Gentlemen” die hochwertigen Rauchartikel, aber auch laszive Harems-Damen, die sich dem Zigarettengenuss hingaben, wurden gerne in der Werbung abgebildet.
Dank der zunehmenden Industrialisierung und moderner Maschinen war dieser “Luxus” schon für wenige Pfennig zu haben.
1906 mit der Einführung der Tabaksteuer im Deutschen Reich war es teilweise notwendig geworden, die Tabakproduktion neu zu ordnen. Lagerung, Produktion und Verpackung sollten an einem Ort erfolgen, um die Anbringung von „Steuerzeichen” (Banderolen) an den Verpackungen leichter überwachen zu können. Auf der Suche nach einem neuen Fabrikgelände konnte der Fabrikant Hugo Zietz 1907 ein Grundstück in der Nähe von Hauptbahnhof und Elbe erwerben.
Allerdings gab es in Dresden in dieser Zeit die Auflage, dass Fabrikgebäude im Bereich der Innenstadt nicht als solche erkennbar sein sollten und das Stadtbild (das „Weichbild des Zentrums”) nicht beeinträchtigen sollten.
Zietz kommt nun auf die Idee, ein Gebäude zu errichten, das das Stadtbild bereichert, einen „Monumentalbau (…) der durch sein anziehendes, eigenartiges Äußeres als lebende Reklame wirken” soll.
Dem Trend der Werbeindustrie folgend, sollte es ein orientalisch anmutendes Gebäude werden. Es folgen zähe Verhandlungen mit der Stadt. Nur durch die Drohung ansonsten in eine andere Stadt abzuwandern, erhält der Unternehmer die Baugenehmigung. Schließlich ging es um über 1700 Arbeitsplätze. Der Architekt des Bauwerks Martin Hammitzsch, wurde allerdings vom sächsischen Berufsverband der Architekten ausgeschlossen, die den Bau als unpassend für das barocke Stadtensemble empfanden.
Gegen all diese Widerstände entsteht einer der modernsten Industriebauten seiner Zeit. Die neue Stahlbetontechnik ermöglichte es, große Räume für die Fabrikation und die Lager zu schaffen und die “Skelett-Konstruktion” ermöglichte einen sehr schnellen und effektiven Bau. Lediglich 168 Tage benötigte der Rohbau, die Stahlkonstruktion der Kuppel war bereits nach 6 Wochen abgeschlossen. Im Oktober 1908 konnte man schließlich einziehen.
In den großen Fabrikationshallen saßen zu Beginn vorwiegend Frauen an langen Tischen, die die Zigaretten in Handarbeit herstellten. Später wurden vermehrt Maschinen eingesetzt.
Modern waren Einrichtungen, wie etwa Liegeräume für die Arbeiterinnen in Pausen, aber auch eine Art „Klimaanlage”. So wurde die gläserne Kuppel mit einer Berieselungsanlage versehen, die ein zu starkes Erhitzen bei Sonneneinstrahlung verhinderte. Auch mit der Integration moderner elektrischer Beleuchtung in orientalische Ornamente oder der Umsetzung von arabischen Elementen in moderner Glas- und Stahltechnik war man auf der Höhe der Zeit.
Die Fassade und zahlreiche Dekorationselemente orientierten sich an bekannten Vorbildern aus dem Orient, so dass der Monumentalbau tatsächlich „Werbung” für exotische Genüsse darstellte. Bilder der Fabrik wurden auch auf Plakaten und Zigarettenpackungen eingesetzt.
Werbung hat ein gutes Gespür für den Zeitgeist. Die positive Traumwelt des Orients stand gewissermaßen für eine Flucht aus dem grauen Alltag. Dies ändert sich in der Nazizeit, als Zigaretten zunehmend nationalistisch beworben wurden und nach dem Krieg, als der neue „Duft der weiten Welt” von Cowboys, die meilenweit für eine Zigarette wandern, beworben wurde. Neues Ideal war nun die Weite der Prairie und der „American Way of Life”.
Als „muslimische Spur” muss man diesen Bau allerdings kritisch betrachten, denn bei aller Faszination für den Orient stand der Bau für ein Gegenbild. Der Spitzname Moschee kennzeichnet also auch den Islam als etwas Fremdes und eben nicht als etwas, das zum deutschen Alltag gehört.
Die Ambivalenz dieses Baus gerade in Dresden ist daher sehr gut geeignet die positiven und negativen Seiten des Verhältnisses der Deutschen zum Orient zu beleuchten.
Dresden beherbergt mit der „Türckischen Cammer” die größte Sammlung osmanischer Kunst außerhalb der Türkei und zahlreiche Gebäude haben Bezüge zum Höhepunkt der „Türkenmode” zu Zeiten August des Starken.
In der jüngeren Zeit ist Dresden aber auch als Ort einer besonderen Islamfeindlichkeit bekannt geworden. Das Attentat auf Marwa el-Scherbini, der erste Mord in Deutschland an einer Frau aufgrund ihres Kopftuchs und die Demonstrationen gegen eine vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes” sind traurige Meilensteine einer gegen den Islam gerichteten Bewegung. Auch die in Dresden beheimatete „Imam-Schule” der Waffen-SS während des Nationalsozialismus steht für einen Missbrauch von Religion.
Ein weiteres Beispiel für diese Ambivalenz ist der Architekt des Bauwerkes selbst. Martin Hammitzsch entwickelt sich nach dem ersten Weltkrieg zum glühenden Nationalsozialisten. Er heiratet 1936 die Halbschwester Adolf Hitlers Angela. Seine Trauzeugen sind Hermann Göring und dessen Ehefrau Emmy. Als die Russen am Ende des zweiten Weltkriegs vor Dresden stehen, nimmt er sich das Leben.
Zum Weiterlesen:
Leman Bilgic, Maike Fabian, Corinna Schwetasch, Robert Stock
Dresdner Orientalismus, in: Rolf Lindner und Johannes Moser (Hrsg.) Dresden: ethnografische Erkundungen einer Residenzstadt, Leipzig 2006 In Auszügen unter:
Swen Steinberg, Orientalismus auf Sächsisch? Dresdner Zigarettenmarken zwischen Regionalismus und globaler Welt. In: Tabakrausch an der Elbe – Geschichten zwischen Orient und Okzident, Stadtmuseum Dresden, 2020 S. 120 – 129 https://www.imhofverlag.de/buecher/tabakrausch-an-der-elbe/
Valentin Hammerschmidt , Ein Gewürz des modernen Lebens – Orientalisierende Architektur in Sachsen und ihr Kontext, (Ringvorlesung „Islamische Kunst in Europa, in Deutschland und in Dresden“, 02.07.15) Im Internet unter: https://www.academia.edu/40009784/Ein_Gew%C3%BCrz_des_modernen_Lebens_Orientalisierende_Architektur_in_Sachsen_und_ihr_Kontext
Christian Hochmuth, Globale Güter, lokale Aneignung: Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden, Konstanz 2008
Joachim Hainzl , Vom Diwan in den Sattel, oder: Wie der Marlboro Mann den Orient besiegte, Ausstellungskatalog des Pavelhauses 2008
http://cigpacks.com/regionale/diwan.pdf
Aufgrund der “politischen Situation” in Dresden ohne Klarnamen:
Die Yenidze – Orientalismus als Marketing, in: Kolonialismus und Widerstand – Globales (Geschichts-)Lernen in Berlin, Dresden, Leipzig und Potsdam. Berlin 2017, S. 20f. Im Internet unter: https://postcolonialpotsdam.files.wordpress.com/2018/06/broschc3bcre-kolonialrassismus-und-widerstand.pdf
Der blaue Dunst des Orients https://dresden-postkolonial.de/tabak/
Bildnachweis:
Yenidze in Dresden, Bilder einer Bildungsreise des Projektes Muslimische Spuren in Deutscher Heimat