Ein reformierter Pfarrer, der sich zum Islam bekennt, war im 16. Jahrhundert ein unglaublicher Skandal. Vieles, auch viel Falsches, wurde daher gegen diesen Mann vorgebracht, selbst Beweise für seinen Hochverrat wurden offensichtlich gefälscht.
Der erste, der sich um eine objektivere Sichtweise auf diesen Mann bemüht, war Gotthold Ephraim Lessing in einem Bericht im Jahr 1744. Aber es dauerte bis 2011, bis Originale der Schriften des besagten Pfarrers auftauchen und wir ein genaueres Bild zeichnen können.
Es handelt sich um Adam Neuser. Etwa 1530 in Gunzenhausen geboren, wirkt er als reformierter Pfarrer an der Peterskirche in Heidelberg. 1569 wird er aufgrund seiner Opposition zur calvinistischen „Kirchenzucht“ strafversetzt und seine Berechtigung zu predigen entzogen.
Er beschäftigt sich intensiv mit der Heiligen Schrift und kommt zur Überzeugung, dass die Trinitätslehre, also die Drei-Einigkeit von Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist eine Irrlehre und nicht aus der Bibel zu begründen sei.
In seiner Zeit war dies ein Sakrileg, galt doch die Drei-Einigkeit seit 625 als unumstößliche Grundlage des christlichen Glaubens. Bekennende Gegner der Drei-Einigkeit (Anti-Trinitarier oder Unitarier) wurden als Ketzer verfolgt. Wenige Jahre zuvor (1553) wurde der bekannte Antitrinitarier Michael Servetus in Genf lebendig verbrannt.
Moment mal! Unitarier?
Auch heute gibt es noch Unitarier:innen, die sich historisch auf das Christentum beziehen, aber die Verehrung von Jesus als Gott ablehnen. Heute haben sich Unitarier:innen jedoch auch geöffnet zu anderen Vorstellungen des Göttlichen. Unitarier:innen gibt es in vielen Ländern auf der ganzen Welt. Am weitesten verbreitet sind sie heute in den Vereinigten Staaten, Kanada, Rumänien, Ungarn und Großbritannien.
Trotzdem entstehen unitarische Gemeinschaften in Polen-Litauen, in Ungarn und Siebenbürgen. Auch in Heidelberg bildet sich unter der Führung von Adam Neuser ein kleiner Kreis von Unitariern.
Nachdem sein Leben im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gefährdet ist, sucht er Anschluss an Gleichgesinnte in Siebenbürgen. Da Siebenbürgen zeitweise unter dem Einfluss der Osmanen stand, hofft er dort auf Asyl und verfasst 1570 einen Brief an den osmanischen Sultan.
In einer frühen Fassung des Briefes schreibt er: „Ich bitte also darum, dass Du mich mit meiner Frau und den Kindern gnädig aufnimmst und verteidigst.“
Siebenbürgen schlägt sich jedoch im Laufe des Jahres 1570 auf die Seite des habsburgischen Kaisers, so dass sich die Hoffnung Neusers zerschlägt, dort eine Gemeinde zu finden.
Neuser ändert den Briefentwurf ab und schreibt zu seinem Glauben: „Durch Beiwohnung des allmächtigen Gottes habe ich gesehen, dass alle Christen in ihrer Idolatrie verfangen sind, dass sie selbst nicht richtig über die Grundsätze ihrer Religion urteilen, ja der Religion überhaupt.“
Dieser Brief wird noch vor seiner Versendung abgefangen und wird Grundlage eines Prozesses wegen Hochverrat.
Festgenommen, gefoltert, verurteilt und schließlich hingerichtet wird zunächst Neusers Mitstreiter Johann Sylvanus. Neuser selbst gelang als Frau verkleidet zunächst die Flucht, bevor auch er inhaftiert wird. Abermals gelingt ihm im Mai 1571 die Flucht und auf verschlungenen Wegen gelangt er im November 1572 schließlich nach Istanbul.
Er lässt sich beschneiden und nimmt den Islam an. Sein muslimischer Name ist nun Mustafa Beg. Zuflucht erhält er zunächst bei einem deutschen Friseur, dessen Salon wohl ein Treffpunkt deutscher Exilanten war. Neuser findet eine Anstellung im Umkreis der Dolmetscher bei Hofe.
Ironischerweise wird er am 05.06.1573 Zeuge einer Hinrichtung des bosnischen Geistlichen Sheikh Hamza Bali. Bali hatte öffentlich die Himmelsreise des Propheten als Erfindung bezeichnet und dazu aufgerufen nur den Koran als Quelle des Islam anzuerkennen und nichts hinzuzufügen.
Bali wurde außerdem vorgeworfen zu einer Gruppe der Bektaschiyya zu gehören, von denen das Gerücht sagte, dass sie Jesus höher als Mohammed einstuften und eine Art Trinität von Allah, Mohammed und Ali annahmen. Mustafa, der überzeugte Antitrinitarier, begegnet also einem vermeintlichen Trinitarier unter den Muslimen.
Mustafa Neuser wird überzeugter Muslim. Er findet ein Lehrbuch des Islam, das er sehr lobt. Es wurde verfasst von einem anderen Konvertiten, Murad ibn Abdullah (geboren im heutigen Ungarn als Balász Somlyai) oberster Dolmetscher am Hofe des Sultans. Das Kitab-i tesviyetü’t-teveccüh ila ’l-hakk (Leitfaden für die Zuwendung zur Wahrheit, erschienen 1557) enthält auch lateinische Übersetzungen und soll Christen vom Islam überzeugen.
Auch Mustafa selbst gelingt es, andere vom Islam zu überzeugen, es wird von einem Deutschen Drechsler berichtet, der durch ihn den Islam annahm.
Neuser alias Mustafa Beg beschäftigt sich aber auch weiterhin mit einer historisch-kritischen Analyse der Bibel und den frühen Diskussionen über die Trinitätslehre. Da er die bisherigen Koranübersetzungen ins Lateinische für falsch und verunglimpfend hält, beginnt er mit einer eigenen Übersetzung.
Das habsburgische Kaiserreich hat Neuser weiterhin im Blick. 1573 wird sein Sohn verhaftet und Neuser erpresst. Neuser wird als Spion für die Habsburger tätig, hofft nicht nur seinem Sohn die Freiheit zu ermöglichen, sondern auch selbst in die Heimat zurückzukehren, ohne seinen Glauben aufgeben zu müssen. Sein Sohn kommt frei, aber die Hoffnung auf Rückkehr bleibt ihm versagt.
Sein Leben scheint recht einsam zu sein, umgeben von nur wenigen Freunden aber hunderttausenden „Fremden“. 1576 erkrankt er an der roten Ruhr und stirbt am 12.10.1576 in Istanbul.
Sein Beispiel lässt erkennen, dass das „christliche Abendland“ und die muslimische Welt im 16. Jahrhundert viel enger verflochten sind, als im Allgemeinen bekannt ist.
Zum Weiterlesen:
Lessing, Von Adam Neusern. Einige authentische Nachrichten, 1774
Mulsow, Martin, Fluchträume und Konversionsräume zwischen Heidelberg und Istanbul – Der Fall Adam Neuser, online veröffentlicht Februar 2018 https://www.vr-elibrary.de/doi/10.7788/boehlau.9783412211387.33
Martin Mulsow: Adam Neusers Brief an Sultan Selim II. und seine geplante Rechtfertigungsschrift. Eine Rekonstruktion anhand neuer Manuskriptfunde. In : Friedrich Vollhardt (Hg.) : Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur, Berlin 2014, S. 295–318.
Rath, Martin, Wohin flieht ein Ketzer aus Heidelberg, Legal Tribune Online, 2019 https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/religionsfreiheit-ketzer-heidelberg-fall-adam-neuser/
Burchill, ‘The Heidelberg Antitrinitarians: Johann Sylvan. Adam Neuser. Matthias Vehe. Jacob Suter. Johann Hasler. Baden-Baden/Bouxwiller 1989
Wendebourg, Dorothea, Reformation und Orthodoxie – Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573 – 1581, Göttingen 1986
Bildnachweis:
Die Süleymaniye Moschee in Konstantinopel 1570 , Melchior Lorck (Lorch)
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