„Gab es auch Muslime im KZ?” fragen viele muslimische Jugendliche beim Besuch einer KZ-Gedenkstätte.
Während man relativ viel über Muslime weiß, die mit den Nazis kooperierten, weiß man über muslimische Opfer des Nationalsozialismus relativ wenig. Dies mag daran liegen, dass der Islam nicht im Fokus einer Verfolgung durch die Nationalsozialisten war und die Religion häufig nicht erfasst wurde.
Diskriminierung erfuhren Muslim:innen nicht aufgrund ihrer Religion, sondern meist aufgrund ihrer Einordnung in eine „fremde Rasse”, wie es für tausende muslimische Sinti:zze und Rom:nja zutraf, für Schwarze oder als „Farbige” kategorisierte Araber und Nordafrikaner.
Gründe für eine Internierung von Muslim:innen in einem Konzentrationslager waren meist die Beteiligung am Widerstand und an Sabotage, aber auch relativ geringe Verstöße gegen Regelungen für Zwangs- und Fremdarbeiter.
Ein Sonderfall waren rund 300 Mitglieder der bosnisch-muslimischen SS-Einheit Handschar, die wegen Meuterei im KZ-Neuengamme bei Hamburg inhaftiert wurden. In Neuengamme wurden außerdem mindestens 110 Muslime arabischer Herkunft namentlich erfasst.
Muslim:innen arabischer Herkunft finden sich in fast jedem Konzentrationslager. Der Islamwissenschaftler Gerhard Höpp konnte über 450 arabische Häftlinge namentlich ermitteln. Im KZ-Dachau ermittelte Höpp 84 arabischstämmige Häftlinge.
Ein Beispiel ist der irakische Student Sayd Daud Y. Er lebte in Schweinfurt und war mit einer Deutschen verlobt, mit der er auch ein Kind hatte. Heiraten durfte er seine Verlobte aufgrund der Rassegesetzte jedoch nicht. Sayds Bruder arbeitete für die irakische Exilregierung, die von den Nazis unterstützt wurde.
Sayd half dem Bruder seiner Verlobten, einem Wehrmachtssoldaten, vor dem Kriegsdienst zu fliehen. Er versorgte ihn mit Geld und Kontaktadressen in arabischen Ländern. Im Dezember 1943 wurde Sayd verhaftet und von einem Sondergericht in Würzburg wegen Beihilfe zur Fahnenflucht zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 1945 wurde er ins KZ Dachau verbracht.
Ein weiteres Beispiel ist Noor Inayat Khan. Als älteste Tochter des indischen Sufi-Predigers Hazrat Inayat Khan 1914 geboren, schloss sie sich 1940 dem britischen Militär an und wurde 1942 zur Funkerin ausgebildet. Von Juni bis September 1943 war sie im besetzten Frankreich eingesetzt und arbeitete für einen britischen Agentenring als erste Frau unter Funkern.
Am 13. Oktober 1943 wurde sie von der Gestapo verhaftet, verhört und verbrachte anschließend über 10 Monate in Einzelhaft. Am 12. September 1944 wurde sie nach Dachau deportiert, wo sie am folgenden Tag mit drei anderen britischen Agentinnen erschossen und anschließend verbrannt wurde. Im Krematorium der KZ-Gedenkstätte Dachau, erinnert eine Gedenktafel an diese mutige Frau.
Zu den Inhaftierten gehörte auch ein Imam der Pariser Moschee: Abdelkader Mesli.
Mesli wurde 1902 in Algerien geboren und kam 1919 zunächst als Hafenarbeiter nach Frankreich. Er arbeitet als Zimmermann und im Bergbau und war schließlich als Straßenhändler und Handelsreisender in vielen Regionen Frankreichs und Belgiens unterwegs.
1942 wurde er ehrenamtlicher Imam an der Pariser Moschee. Die Moschee wurde 1926 eingeweiht und stand unter der Leitung von Si Kaddour Benghabit.
Benghabit half hunderten Juden und Jüd:innen sich in der Moschee zu verstecken und half ihnen mit falschen Papieren und Übertrittsurkunden zum Islam aus dem besetzten Frankreich zu fliehen.
Mesli wurde nach Bordeaux gesandt, um die Moschee im Südwesten Frankreichs zu vertreten. Aufgabe war vor allem die Seelsorge für Kranke und bei Todesfällen. Unter anderem kümmerte er sich um 4.000 Kriegsgefangene, die als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.
Neben diesen offiziellen und von den deutschen Besatzern tolerierten Aufgaben, setzte sich Mesli für den Widerstand ein und trat der französischen Widerstandsbewegung bei.
Er unterstütze geflohene Kriegsgefangene und andere Flüchtlinge und half ihnen mit falschen Papieren. Hierbei unterschied er nicht zwischen ihren Religionen und half, ebenso wie Benghabit, zahlreichen Juden und Jüdinnen zur Flucht.
Am 5. Juli 1944 wurde Mesli von der Gestapo verhaftet und am 8. August 1944 in den sogenannten „Geisterzug“ gebracht. Der Geisterzug war ein Gefangenentransport nach Dachau, der bereits seit einem Monat durch Frankreich unterwegs war. Aufgrund beschädigter Bahngleise und Angriffen der Alliierten irrte der Zug fast zwei Monate durch Frankreich, bis er Ende August in Dachau eintraf. Von den über 700 Internierten des Zuges kamen nur 536 lebend in Dachau an.
Am 14. September wurde er in das KZ Mauthausen verlegt und musste Zwangsarbeit in einer unterirdischen Rüstungsfabrik leisten. Am 5. Mai 1945 wurde er befreit.
Nach dem Krieg wurde Abdelkader Mesli bei der Moschee in Paris eingestellt und war vor allem für die Krankenhausseelsorge zuständig. Vor allem betreute er das französisch-muslimische Krankenhaus in Bobigny, das auch über einen eigenen Friedhof und eine kleine Moschee für Totengebete verfügte.
Er starb im Alter von 59 Jahren 1961 in Bobigny und wurde auf dem von ihm selbst betreuten Friedhof begraben.
Die Frage „Gab es auch Muslime im KZ?” kann also eindeutig mit ja beantwortet werden. Es gab Muslim:innen, die mit Nazis zusammenarbeiteten, es gab Muslim:innen, die unter dem Rassismus der Nazis litten und es gab mutige Musliminnen und Muslime, die sich gegen den Rassismus der Nazis zur Wehr setzten. Es ist wichtig auch Ihre Geschichten zu erzählen.
Zum Weiterlesen:
Höpp, Gerhard, Der verdrängte Diskurs. Arabische Opfer des Nationalsozialismus, in: Gerhard Höpp u. a. (Hgg.), Blind für Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus (Studien des Zentrums Moderner Orient Bd. 19), Berlin 2004, S. 215-268.
https://d-nb.info/1151836672/34
Höpp, Gerhard, „Gefährdung der Erinnerung“. Arabische Häftlinge in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in: Asien, Afrika Lateinamerika 30 (2002), S. 373-386.
Gedächtnisblatt Abdelkader Mesli des Projektes Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ Dachau: https://www.gedaechtnisbuch.org/wp-content/uploads/2017/09/mesli_abdelkader.pdf
Presseartikel:
https://arolsen-archives.org/news/abdelkader-mesli-ein-imam-in-der-resistance/
http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/13720
http://www.schoah.org/kz/muslime.htm
Bildnachweis:
Personenkarte von Abdelkader Musli im KZ Dachau, Foto: Michael Pfaff (SmF)