Mohamed Helmy, genannt „Mod”, ist 21 Jahre alt, als er 1922 nach Berlin kommt. Als Sohn eines hohen Offiziers ist es ihm möglich, ein Studium im Ausland zu finanzieren. Er entscheidet sich jedoch nicht für das Kolonialland England, sondern für das Deutsche Reich, als er einen Studienplatz für Medizin sucht. Er erlebt die ereignisreichen 20er Jahre und wird dann in die Strudel der Geschichte hineingezogen, erlebt die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Über 90 Jahre später, im Jahr 2013, wird er als „Judenretter” in die Liste der „Gerechten unter den Völkern” in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, aufgenommen werden.
Dabei verläuft sein Leben in der pulsierenden Hauptstadt der Weimarer Republik anfänglich wie geplant, auch wenn das Land von politischen und wirtschaftlichen Krisen mächtig geschüttelt ist. Berlin ist damals schon ein Schmelztiegel verschiedenster Völker, Nationen, Religionen und neuer Bewegungen. Mohamed „Mod” Helmy studiert in Berlin und findet Kontakt zur „Ägyptischen Kolonie” von etwa 200 Sprachwissenschaftlern, Juristen, Ärzten, Ingenieuren und Studierenden dieser Fächer.
Nach seiner Approbation 1931 beginnt er seine Ausbildung zum Facharzt der Inneren Medizin am Krankenhaus in Berlin-Moabit, die er 1937 erfolgreich abschließt und zunächst als Oberarzt weiterarbeitet. 1939 beginnt mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg.
Nach dem Kriegseintritt bricht Ägypten die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich ab und inhaftiert Deutsche Bürger in Ägypten. Als Vergeltungsmaßnahme werden am 3. Oktober 1939 etwa 130 Araber in Berlin festgenommen, darunter auch Mod Helmy und einige seiner Freunde. Widersacher Mohamed Helmys und der Anderen ist Alfred Hess, Bruder von Rudolf Hess. Sie haben eine besondere Verbindung zu Ägypten, haben als Unternehmersöhne ihre Kindheit in Alexandria verbracht. Alfred Hess gründete sogar die NSdAP in Ägypten.
Eine qualvolle Zeit beginnt für Helmy, in der er alles daran setzt freizukommen, doch Hess lässt nicht nach. Erst am 20. November 1939 kommt Mohamed mit der Auflage frei, innerhalb von 30 Tagen für die Freilassung der festgesetzten Deutschen in Ägypten zu sorgen. Doch er hat keinerlei politischen Einfluss. Hunderte Araber werden nach Nürnberg verbracht, wo sie gesammelt inhaftiert werden sollen. Auch Helmy wird am 5. Januar 1940 erneut inhaftiert, wird nach Nürnberg gebracht. Mohamed Helmy wird in der Haft krank, verbringt seine Haftzeit durchgängig im Krankenhaus, quält sich über Monate, bis er dann am 6. Mai 1940 wegen Haftunfähigkeit entlassen wird.
1941 beginnt die deutsche Regierung ihre Haltung gegenüber Muslimen zu ändern. Das Nazi-Regime versucht nun, Muslime für den Kampf gegen England und Frankreich zu gewinnen. Die ägyptischen Geiseln werden frei gelassen und Mod arbeitet zunächst inoffiziell in seiner privaten Wohnung. Er ist nach wie vor gegenüber seinen deutschen Mitbürgern benachteiligt. Die Rassegesetze der Nationalsozialisten verbieten beispielsweise eine Heirat mit seiner deutschen Verlobten Emmy Ernst.
1942 erhält Mod Helmy die Chance, die Arztpraxis eines zum Militärdienst einberufenen Deutschen zu übernehmen, so dass er sich nun auch offiziell selbstständig machen kann.
In seiner Praxis bleibt er seinem ärztlichen Eid treu, will allen Menschen, die zu ihm kommen, helfen und behandelt auch jüdische Patienten.
Seit Kriegsbeginn wurde die Lage für jüdische Bürger immer schwieriger. Die Flucht aus Deutschland wurde praktisch unmöglich. Ab 1941 wurde dann die Vernichtung aller Juden beschlossen und 1942 in der „Wannseekonferenz” organisiert.
Anna Boros ist 1942 16 Jahre alt. Sie ist 1925 in Rumänien geboren. Annas Großmutter Cecilie Rudnik ist Gemüsegroßhändlerin, gläubige Jüdin und Patientin bei Mohamed Helmy. Sie bittet ihren Arzt, ihrer Enkelin zu helfen. Helmy nimmt sie auf und gibt sie als seine Nichte aus.
Er hilft auch Annas Eltern und der Großmutter sich zu verstecken. Das war so mutig wie gefährlich für alle Seiten. Und lange war dieser Zustand nicht haltbar.
Wie konnte Mohamed Anna aus dem Land schaffen? Es schien einen Weg zu geben. Wenn Mohamed Helmy für Anna einen ägyptischen Pass besorgen könnte, dann würde sie aus dem Deutschen Reich ausreisen können. Das war möglich, wenn sie zum Islam konvertierte und anschließend einen Ägypter heiratete. So könnte sie unerkannt als Muslimin außer Landes kommen.
Anna Boros konvertiert am 10.6.1943 zum Islam und heiratet vor einem Imam einen Ägypter. Sie erhält eine Übertrittsurkunde vom Islamischen Zentralinstitut, ihre Ehe wird aber nicht vom deutschen Standesamt anerkannt. Der Plan nach Ägypten zu fliehen scheitert.
Gegen Kriegsende kommt die Gestapo Mohamed Helmy und Anna Boros auf die Spur. Jetzt bleibt nur noch der Weg, sich zu verstecken. Mohamed Helmy bringt Anna aus der Stadt. Im Nordosten Berlins, im Stadtteil Buch, versteckt er die mittlerweile 19-Jährige in einer Gartenlaube von Bekannten. Dort überlebt Anna, bis die Armee der Sowjetunion in Berlin einmarschiert.
Anna wird gerettet. Sie wandert in die USA aus, bleibt aber mit ihrem Retter, dem ägyptischen Arzt Mohamed Helmy in Kontakt und besucht ihn auch mehrmals in Berlin. Auch ihre Mutter und Großmutter überleben den Krieg.
Mod heiratet 1945 seine langjährige Verlobte Emmy Ernst und bleibt bis zu seinem Tod 1982 in Berlin. 1962 wird er vom Senat der Stadt Berlin für seine Rettungstat geehrt. 1968 regt der Berliner Senat bei der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem erstmals an, Mod Helmy zu ehren. Dies bleibt zunächst ungehört.
Als der Chirurg Dr. Karsten Mülder gemeinsam mit seiner Frau Sabine 1991 seine Praxis in der Krefelder Str. 7 in Berlin-Moabit einrichtet, erfährt er von dem engagierten Kollegen, der ebenfalls hier praktiziert hatte.
Dem Engagement der Mülders ist es zu verdanken, dass man sich wieder an diesen mutigen Arzt erinnert hat, der sich, obwohl er selbst unter der Unterdrückung der Nazidiktatur gelitten hat, für diejenigen engagierte, die noch stärker bedroht waren als er selbst.
Neben 88 weiteren Muslimen ist Mohamed Helmy bisher der Einzige arabischer Herkunft, der als „Gerechter unter den Völkern” in Yad Vashem verzeichnet ist.
Vielleicht finden sich durch Recherchen in der Zukunft ja noch viel mehr.
Zum Weiterlesen:
Igal Avidan, Mod Helmy – Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo rettete, München 2017
Ronen Steinke, Der Muslim und die Jüdin, München, 2019
Ronen Steinke, Mohammed Helmy war der erste arabische »Gerechte unter den Völkern«. Der ägyptische Arzt rettete die Jüdin Anna Boros vor den Nazis, in Jüdische Allgemeine 24.07.2017
https://www.juedische-allgemeine.de/politik/nahost-berlin/
Sabine und Karsten Mülder , Der Internist Dr. Mod Helmy – ein „Gerechter unter den Völkern“, in Moabitonline, 3.12.2013 www.moabitonline.de/19331
Dokumentarfilm: Mohammed an Anna – In Plain Sight, Taliya Finkel, 2018, Trailer: http://taliyafinkel.com/film/mohamed-and-anna-in-plain-sight/
Und https://www.mohamed-und-anna.de/
Bildnachweis:
Gedenktafel an der Krefelder Str. 7 in Berlin
Public domain by wiki commons:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berliner_Gedenktafel_Krefelder_Str_7_(Moabi)_Mod_Helmy.jpg