Im September 1719 findet in Dresden einer der größten Events des 18. Jahrhunderts statt. Es ist die Hochzeit des Kurprinzen Friedrich August II., Sohn Augusts des Starken, mit Maria Josepha von Österreich, der ältesten Tochter des habsburgischen Kaisers Joseph I.
August der Starke, seit 1694 Kurfürst von Sachsen und seit 1697 König von Polen, träumte davon, durch die Hochzeit seines Sohnes mit der Tochter des Habsburgischen Kaisers die Kaiserwürde für sich oder seinen Sohn zu erlangen.
Eine Voraussetzung hierfür war der Übertritt des damals 16-jährigen Sohnes zum katholischen Glauben, der 1712 vollzogen wurde. Im gleichen Jahr beauftragt August seine ehemalige Geliebte Maria Aurora Fatima Spiegel und ihren Mann mit dem Ankauf orientalischer Kostbarkeiten in Istanbul.
Sie erwerben unter anderem eine türkische Zeltstadt mit Inventar und viele weitere Schätze, die der Grundstock der Türkischen Cammer in Dresden sind, der größten Sammlung osmanischer Kunst außerhalb der Türkei.
Dresden wird unter August dem Starken zu „Elbflorenz”, einer der prächtigsten Städte Europas. Es entstehen unter anderem das Taschenbergpalais (zeitweise auch Türkisches Palais) 1705, der Dresdner Zwinger (ab 1709) und das Japanische Palais (1717). Das Residenzschloss wird erweitert und umfangreiche Gartenanlagen angelegt.
August möchte sich als Absolutistischer Herrscher generieren und den Einfluss des Adels zurückdrängen. Ab 1706 regiert er mithilfe eines geheimen Kabinetts. Es gelingt ihm nie die gleiche Macht an sich zu binden, wie sein Vorbild Ludwig XIV. in Frankreich. Umso mehr versucht er daher nach Außen seine Größe und Wichtigkeit darzustellen. Er veranstaltet legendäre Festlichkeiten in deren Mittelpunkt immer er selbst steht. Hierbei spielt die „Türkenmode” oder mit anderem Namen „Turquerie” eine besondere Rolle.
Die osmanischen Schätze stehen nicht nur für den Reichtum des Kurfürsten, sie symbolisieren auch eine Analogie des Kurfürsten mit einem orientalischen Sultan, der über absolute Macht verfügt.
Höhepunkt dieser Feierlichkeiten ist die „Hochzeit des Jahrhunderts” vom 2. bis 30. September 1719. Über 1000 Fürsten, Grafen, Barone und Edelleute und deren Gefolge waren geladen. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 6 Mio. Taler (das 20-fache des Jahresbudgets).
Die Vorbereitungen waren entsprechend aufwendig. Eine Infanterie-Einheit mit 350 Mann hatte sich bereits seit einem Jahr lange „türkische Bärte“ wachsen lassen, wurde als Janitscharen eingekleidet und begleitete die Festlichkeiten. Auch eine Janitscharen-Kapelle trat mehrmals bei den Feierlichkeiten auf.
Schon der Empfang der Prinzessin am 2. September 1719 war außergewöhnlich. Man ließ die Braut nur bis Pirna in der Postkutsche reisen. Die letzten Kilometer stieg sie um auf ein vergoldetes Prunkschiff, die Bucentaur (nach venezianischem Vorbild – Bucintoro = burcio in oro). In Begleitung von 15 holländischen Yachten kam sie bei Dresden an. Dort waren neun große osmanische Zelte aufgebaut und der Kurfürst empfing sie als Sultan gekleidet. In einem Festzug mit einer Eskorte in türkischer Kleidung unter anderem mit 24 türkisch gekleideten „Mohren” mit Streitäxten und prächtig geschmückten orientalischen Pferden wurde sie in die Innenstadt geleitet.
Moment Mal!
Die Bezeichnung „Mohr” ist nicht unbelastet. Ursprünglich waren mit diesem Wort Mauren gemeint, die nordafrikanischer Abstammung waren. Der Begriff Mauren stammt ursprünglich aus der Sprache der Amazigh. „Amur” bedeutet Heimat. Wir finden diesen Begriff wieder in Marrakesch (Amur n Akech = Heimat Gottes) und der römischen Provinz Mauretanien. Der Begriff Mauren wurde daher zeitweise für alle Amazigh Nordafrikas verwendet. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff mit dem griechischen “mauros” (= dunkel) vermischt und wandelte sich zur Bezeichnung für Menschen aus dem subsaharischen Afrika. Auch wenn er ursprünglich eine Eigenbezeichnung war, kommt der Begriff daher dem N*-Wort, mit dem Schwarze Menschen rassistisch bezeichnet wurden, sehr nahe.
Innerhalb der 28-tägigen Feierlichkeiten sind zwei Feste für uns besonders interessant:
Am 17. September 1719 findet ein Orientalisches Bankett im Türkischen Palais statt. Neben den als Janitscharen gekleideten Bediensteten und den exotischen Speisen ist es eine Ausstellung von Kunstwerken, die die Gäste begeistern soll. Darüber wird folgendermaßen berichtet:
„… in dem ersten Stockwerk eine große Menge Gemälde von den Gewohnheiten des türkischen Serail, der Bäder, Audienzen, die Prospekte von der Kirche St. Sophia, und verschiedene Trachten so wohl der Türke überhaupt, als insbesondere der vornehmsten Hofbedienten. In dem anderen Stockwerke sind viele schönen Damen, (welche man am Hof zu Dresden genug kennet) in türkischen Kleidungen abgeschildert. Die Tapeten und alle Gerätschaften dieses Gebäudes sind türkisch oder persisch, und viele Tische mit morgenländischen Merkwürdigkeiten ausgeziert.“
Am 20. September veranstaltet man ein „Merkurfest” im Garten des Zwingers als „Jahrmarkt der Nationen”. Alle Gäste erschienen in orientalischer Kleidung. Das Fest beschreibt der Heimatforscher Hans-Joachim Böttcher wie folgt:
“Hier war es nun der Prinz von Hessen-Kassel, der als Sultan erschien. Das junge Brautpaar kam dagegen als Perser und Perserin gekleidet. Eine besondere Attraktivität dieses Festes war das als „Serail“ oder auch „Circle Ottoman“ bezeichnete Wachsfigurenkabinett. Dessen lebensgroße Figuren waren in orientalische Gewänder gekleidet und teils mit originalen Waffen ausgestattet. Sie stellten den Sultan, seine Haremsdamen und einige hohe Würdenträger dar. Auf dem Fest, wie gleichfalls späteren Veranstaltungen, traten auch immer wieder die Janitscharen mit ihrer Musikkappelle auf und gaben damit den Veranstaltungen einen orientalischen Anstrich.”
Die Türkenmode ist anfangs ein Phänomen der Eliten. Spätestens mit Ankunft des ersten osmanischen Gesandten Ahmed Ibrahim Resmi Efendi am 2. November 1763 ergreift die Faszination des Orients aber auch die bürgerlichen Kreise. Im Laufe des 18. Jahrhunderts entstehen auch die sogenannten Türkenopern, beispielsweise Mozarts „Die Entführung aus dem Serail” von 1782 und orientalische Einflüsse werden Bestandteil der klassischen Musik.
Zum Weiterlesen:
Böttcher, Hans-Joachim, August der Starke und die sogenannte Türkenmode, im Internet unter: https://www.sachsen-lese.de/streifzuege/geschichtliches/august-der-starke-und-die-sogenannte-tuerkenmode/
Böttcher, Hans-Joachim, Die Türkenkriege im Spiegel sächsischer Biographien, Herne, 2019
Feierlichkeiten aus Anlaß der Hochzeit Friedrich August II. von Sachsen und der Erzherzogin Maria Josepha in Dresden 1719 : Ms. germ. fol. 304. Im Internet unter:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/HLQA335XCRDBEAP2KEHE7UGZL6GCJFZL?isThumbnailFiltered=true&query=Hochzeit+Friedrich+August+II.+von+Sachsen+&rows=20&offset=0&viewType=list&firstHit=XN3QMFDIQMF4EIQVS7DTBF7ALH3PXNMH&lastHit=lasthit&hitNumber=5
Bildnachweis:
Ausschnitt eines Kupferstichs aus “Feierlichkeiten aus Anlaß der Hochzeit Friedrich August II. von Sachsen und der Erzherzogin Maria Josepha in Dresden 1719”