Nach dem endgültigen Sieg über die Sachsen befindet sich Karl der Große auf dem Höhepunkt seiner Macht. Um diese Macht zu festigen, strebt er gemeinsam mit dem Bischof von Rom die Wiederherstellung der “Römischen Kaiserwürde” an. Karl würde so zeigen, dass er als Kaiser über allen anderen Fürsten und Königen Europas steht. Außerdem legitimiert der “Göttliche Segen” durch den Papst auch seine führende Rolle bei der Verwaltung der Kirche (weltliches Oberhaupt) in seinem Reich.
Der Bischof von Rom wiederum würde den Anspruch führender Bischof der katholischen Welt zu werden durch die Unterstützung Karls untermauern. Die Kaiserkrönung steht somit auch für die Stärkung des katholischen Papsttums.
Moment Mal! Warum römisch? Im Mittelalter entstand die sogenannte Vier-Reiche-Lehre. Danach glaubte man, dass es immer eine Hauptmacht auf der Welt gibt. Auf Babylon folgte Persien, auf Persien Griechenland und auf Griechenland Rom. Nach der Niederlage des vierten Reiches (Rom) erwartete man den Weltuntergang. Da das west-römische Reich 476 bereits untergegangen war, verstand man den Begriff “römisches Reich” als geistiges Reich, bzw. verbindendes Element der katholischen Christenheit mit dem geistigen Zentrum Rom. Ziel war also der römisch-katholischen Christenheit wieder einen einheitlichen weltlichen Herrscher zu geben.
Bei seinen Plänen macht Karl einen potenziellen Gegner aus, das Byzantinische Reich. Denn Irene, die Kaiserin von Byzanz, dem ehemaligen Oströmischen Reich, könnte ihm die Kaiserwürde streitig machen.
Dies mag die Motivation gewesen sein 797 eine Delegation zu Harun ar-Raschid, dem Kalifen der Abbasiden zu schicken und mögliche Allianzen auszuloten. Die Idee wäre: Wenn sich das größte Reich nördlich von Byzanz und das große Reich im Süden von Byzanz zusammentäten, könne man Byzanz im Zaum halten.
Als Zeichen der Freundschaft bittet Karl Harun explizit um einen Elefanten.
Wie schwierig und zeitaufwendig die Aufnahme “diplomatischer Beziehungen” in damaliger Zeit war zeigt, dass es über vier Jahre dauert, bis diese Delegation wieder in das Reich Karls zurückkehrt. Da man den direkten Landweg (ca. 3.700 km) durch byzantinisches Gebiet mied, mussten über 5.000 km auf dem Landweg und ca. 1.000 km auf dem Mittelmeer überwunden werden.
Die ursprünglichen Gesandten waren inzwischen verstorben, so dass die Delegation nun von dem jüdisch-fränkischen Kaufmann Isaak angeführt wird. Jüdische Kaufleute waren durch ihre Sprachkompetenz die idealen Mittler in dieser Zeit.
Auf dem Rückweg musste der gewünschte Elefant von Ar-Raqqa im heutigen Syrien über 4.000 km auf dem Landweg über Kairo nach Tunis gebracht werden und dann mit dem Schiff nach Ligurien. Da sie im Jahr 801 erst spät im Herbst ankamen, überwinterten sie hier, da der Elefant im Winter die Alpen nicht überqueren konnte. 802 folgten die letzten 1.000 km auf dem Landweg.
Am 20.07.802 erschien nun dieses wundersame Wesen in der Kaiserpfalz Aachen. Abul Abaz ist der erste Elefant nördlich der Alpen der namentlich erwähnt wurde. Er war eine vielbeachtete und vielbeschriebene Sensation.
Auch wenn heute die internen Absprachen zwischen Kaiser und Kalif nicht mehr überliefert sind, wurde über dieses exotische Symbol kaiserlicher Macht so viel geschrieben, dass wir davon ausgehen können, dass es sich nicht um ein “Fabelwesen” handelte, sondern ein tatsächlich lebendes Tier. Er ist somit auch der Beweis, dass es tatsächlich Kontakte zwischen diesen weit entfernten großen Reichen gab.
Abul Abaz begleitete den Kaiser auf seinen Reisen und starb acht Jahre nach seiner Ankunft bei einer Überquerung des Rheins. 1750 werden seine Knochen an der Mündung der Lippe in den Rhein gefunden. 2011 erscheint sogar eine Biografie über diesen bemerkenswerten Elefanten.
Über die Menschen, die diesen Elefanten begleitet haben, schweigen die Quellen. Es ist aber anzunehmen, dass Abul Abaz nicht ohne Begleitung aus dem Orient kam.
Man kann davon ausgehen, dass Tierpfleger (mit entsprechendem Know-how der Pflege eines Elefanten) Abul Abaz begleiteten und mindestens 8 Jahre in Karls Reich blieben. In diesem Fall wäre der 20.07.802 auch das Datum, seitdem Muslime zum ersten Mal längere Zeit im Gebiet des heutigen Deutschlands lebten.
Leider erfahren wir nichts in den Quellen über diese Menschen, wie sie gelebt haben, ob sie in den Orient zurückgekehrt sind oder nach dem Tod von Abul Abaz geblieben sind.
Zum Weiterlesen:
Achim Thomas Hack: Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten. Wissenschaftlicher Verlag Dr. Michael P. Bachmann, Badenweiler 2011, ISBN 978-3-940523-12-9.
Richard Fletcher: Ein Elefant für Karl den Großen – Christen und Muslime im Mittelalter. Darmstadt 2005.
Hans Altmann: Die Reise des Isaak und die politische Situation um 800. In: Ex oriente. Isaak und der weiße Elefant. Bagdad – Jerusalem – Aachen. Eine Reise durch drei Kulturen um 800 und heute. Katalogbuch zur Ausstellung in Rathaus, Dom und Domschatzkammer Aachen vom 30. Juni bis 28. September 2003, Band 1 Die Reise des Isaak. Bagdad. Zabern, Aachen 2003, S. 28–35.
Hannelore Kühl, Brigitte Erm: Abul Abas. Die Geschichte des weißen Elefanten am Hofe Karls des Großen. Alano Verlag, Aachen 1985, ISBN 3-924007-12-8.
Karen Duve, Thies Völker: Lexikon berühmter Tiere. 1200 Tiere aus Geschichte, Film, Märchen, Literatur und Mythologie. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-8218-0505-6.
Michael Borgolte, Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem, München 1976, s. 3-15.
Nico Geisen, Zwischen Entfernung und Elefanten. Die Absichten der karolingisch-abbasidischen Diplomatie, Hausarbeit (Hauptseminar), 2017, https://www.grin.com/document/445680
Bildnachweis:
Bild aus: Charlotte M. Yonge “Young Folks’ History of Germany” (1878), gefunden auf: http://www.papergreat.com/2015/02/some-cool-stuff-inside-1878s-young.html
Stichworte/Glossar:
Abbasiden
Der Familienclan der Abbasiden geht zurück auf einen Onkel des Propheten Mohammed. Er vertrieb die Ommayyaden aus Damaskus und herrschte von 749 – 1258 über das muslimische Großreich. Hauptstadt des Abbasidenreiches war ab 762 Baghdad. Nach der Eroberung Baghdads durch die Mongolen, flohen die Abbasiden nach Kairo, wo sie unter dem Einfluss der türkischstämmigen Mamluken noch bis 1517 das Amt des Kalifen ausübten. In dieser Zeit war mamlukische Sultan (weltliche Herrscher) mächtiger als der Kalif (religiöser Herrscher). Erst unter den Osmanen ab 1517 war der Kalif wieder weltliches und religiöses Oberhaupt der Muslime.
Mamluken
Mamluken (von arabisch “in Besitz genommene”, bzw. Sklaven) waren ursprünglich zentralasiatische (meist türkischstämmige) Söldner in Diensten der Abbasiden. Aufgrund ihrer wachsenden militärischen Stärke konnten sie eigene Reiche Gründen, wie das Sultanat von Dehli (1206 – 1526) und in Ägypten (1249 – 1517).
Osmanen
Die Osmanen waren eine türkischstämmige Dynastie, die nach ihrem Gründer Osman I. benannt ist. Sie herrschten von 1299 – 1922 als Emire und Sultane und von 1517 – 1924 auch als Kalifen des Islam.