Skip to content

1938: Der Sarotti Mohr – Symbol des Kolonialismus oder Botschafter des Orients? 

Der kleine Joachim wächst im deutschen Königsberg Ende der 30er Jahre auf. 1938 ist er gerade mal vier Jahre alt. Er erinnert sich heute noch mit 89 Jahren an seine Großmutter, die ihm jeden Abend eine Gutenachtgeschichte vorlas unter der Auflage jeden Tag einen Buchstaben lesen und schreiben zu lernen und an seine Tante, die täglich nach ihrer Arbeit vorbeischaute, um mit den Kindern ihres Bruders zu spielen. 

Seine Tante hatte wenige Häuser weiter ein Schokoladengeschäft und so brachte sie auch immer süße Leckereien aus ihrem Laden mit. Am Eingang des Geschäftes prangte der “Sarotti Mohr” ein dunkelhäutiger Junge in orientalischer Kleidung, der von 1918 bis 2004 eine der populärsten Werbeikonen in Deutschem Reich und in der Bundesrepublik war.  

Dieser “süße” Erstkontakt mit dem “Orient” führte vielleicht dazu, dass Joachim sich schon als Kind lieber als Beduine verkleidete, als als Cowboy und Indianer.  

Da er schon vor seiner Schulzeit lesen gelernt hat, beginnt er auch früh alles zu lesen, was mit dem Orient zusammenhängt. 

Aufgrund des Afrikafeldzuges von Rommel, fand er viele Berichte aus Libyen und dem Leben der stolzen und freien Beduinenstämme.  

Sein Alltag wird immer mehr vom 1939 beginnenden Krieg und den Grausamkeiten bestimmt, die er erleben muss. Umso wichtiger wird für ihn das Gegenbild, der süße Geschmack der “orientalischen” Schokolade und die Geschichten aus einer anderen Welt, die fernab in der Sahara spielten. 

Nach der Flucht aus Ostpreußen findet Joachim seine neue Heimat 1947 in Hamburg. Als er 13 wird, fordert sein Vater ihn auf sich nun konfirmieren zu lassen und protestantischer Christ zu werden. 

Joachim lehnt sich auf und weigert sich. Für ihn war die evangelische Kirche zu eng mit den Nationalsozialisten verknüpft, zu wenig hatte man sich im Krieg der eigenen Lehre der Nächstenliebe verpflichtet gefühlt, ja sogar (von wenigen Ausnahmen abgesehen) Krieg, Diskriminierung Andersdenkender und Antisemitismus gutgeheißen. Er sucht und findet eine Alternative im Islam. 

Er begibt sich auf die Suche nach Muslimen und findet Zuflucht bei einer muslimischen Familie. Mit 14 zieht er zu Hause aus und beginnt eine kaufmännische Lehre.  

Er konvertiert zum Islam und bekommt einen neuen Namen. So wird aus Joachim Erich August Dultz nun Bashir Ahmad Dultz. 

Im Hamburger Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” liest er 1949 schließlich von Deutschen Muslimen in Hamburg und findet schnell Kontakt. Er trifft auf eine Gruppe um Wilhelm Muhammad Ali Nowakowski, einen älteren Herrn und Kriegsinvaliden, der im ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte. Nowakowski hatte sich bereits in den 1920er Jahren zum Islam bekannt und sich intensiv mit der arabischen Sprache und dem Koran beschäftigt. Die Zwei-Zimmer-Wohnung von Nowakowski und seiner Frau war ein Treffpunkt für die kleine Gemeinschaft.  

Außer den älteren Männern und Frauen gab es auch einige junge Männer, mit denen sich Bashir zusammentat. Gemeinsam mit Günther Amin Abdurrahim Neuhaus gründet er eine Gruppe muslimischer Pfadfinder und wird schließlich Gründungsmitglied der ältesten muslimischen Organisation der Bundesrepublik: der Deutschen Muslim Liga e.V. 

Hierzu mehr an anderer Stelle. Hier nur noch so viel. Der “Sarotti-Mohr” wurde 2004 aus der Werbung verbannt. Er stand Anfangs, in den 1920er Jahren, für Kolonialwaren und exotisches Flair und war noch in der Fernsehwerbung ab den 1960er ein beliebter “Sympathieträger”. 

Man kann heute aber über ihn nicht schreiben, ohne seine problematische Seite zu erwähnen. Zum einen ist die Bezeichnung “Mohr” nicht unbelastet. Ursprünglich waren mit diesem Wort Mauren gemeint, die nordafrikanischer Abstammung waren, im Laufe der Zeit wandelte der Begriff sich zur Bezeichnung für Menschen aus dem subsaharischen Afrika. Der Begriff kommt daher dem N*-Wort, mit dem Menschen dunkler Hautfarbe rassistisch bezeichnet wurden, ziemlich nahe.  

Die Kleidung der Werbefigur, die an einen Diener an einem orientalischen Hof erinnert, unterstützt zusätzlich den Eindruck, dass Menschen afrikanischer Abstammung quasi natürliche Diener sind, die Europäern exotische Köstlichkeiten “servieren”.  

Der “Sarotti Mohr” steht daher symbolhaft auch für dunkle Kapitel unserer Geschichte, für Kolonialismus, Sklaverei und Alltagsrassismus. Er wurde daher mit einigem Recht aus der Werbung entfernt und es erstaunt, dass dies erst 2004 der Fall war. 

Wir haben diese Geschichte trotzdem erzählt, weil sie zeigt, dass selbst Symbole, die, ob absichtlich, oder unabsichtlich, für eine Abwertung orientalischer Kultur stehen, auch Interesse wecken können. Ein Interesse, dass bei genauerem Hinsehen, zu Verständnis für eine andere Kultur führen kann.  

Der Schlüssel zum Verständnis ist die Auseinandersetzung mit dem “Anderen”. Daher denken wir, dass wir den “Sarotti Mohr” nicht aus unserem Gedächtnis streichen sollten, sondern an ihn mit allen seinen Aspekten erinnern sollten. An unseren Alltagsrassismus mit all seinen Auswüchsen, aber auch daran, dass er uns eine fremde Kultur vertraut gemacht hat.  

Und so ist der “Sarotti Mohr” in vielerlei Hinsicht eine “Muslimische Spur in Deutscher Heimat”. Heute finden wir ihn immer noch in der ehemaligen Schokoladenfabrik in Berlin Kreuzberg, den “Sarotti-Höfen” (siehe Titelbild). 

Bildnachweis: 

Public domain by Wiki Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kreuzberg_Sarotti-H%C3%B6fe.JPG